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Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung?

von Axel Dammer

 

Autor: Rechtsanwalt Jürgen Boyxen

Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung, was ist das eigentlich? 

In den Medien wird in der Regel nur der Begriff der Patientenverfügung verwandt, und zwar in geradezu inflationärer Häufigkeit. Jedem wird eingeredet, er müsse unbedingt eine Patientenverfügung besitzen. 

Jeder fühlt sich berufen und kompetent genug, Ratschläge zu inhaltlichen Gestaltungen einer Patientenverfügung zu erteilen. Das Internet hält ein geradezu unüberschaubares Angebot an Patientenverfügungen aller Art bereit. 

Ist eine Patientenverfügung tatsächlich so wichtig und unverzichtbar? 

Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst einmal geklärt werden, was mit dem ebenfalls häufig verwandten Begriff der Vorsorgevollmacht gemeint ist. Um es vorweg zu sagen: 

Eine Vorsorgevollmacht ist um ein Vielfaches wichtiger als eine Patientenverfügung. Jeder sollte eine Vorsorgevollmacht besitzen; eine darüber hinaus existierende Patientenverfügung kann nützlich sein, ist jedoch nicht unverzichtbar. 

Warum ist dies so? 

Schwere Erkrankungen oder auch eine Demenz können dazu führen, dass der Betroffene die Dinge des täglichen Lebens nicht mehr selbst erledigen kann. Eine solche Handlungsunfähigkeit kann sogar mit einer rechtlich bedeutsamen Geschäftsunfähigkeit einhergehen. 

In der noch gar nicht so fernen Vergangenheit wurde in einer solchen Situation geprüft, ob der geschäftsunfähig gewordene Angehörige entmündigt werden müsste und ob man ihm einen Vormund zu bestellen hatte. In der Mehrzahl der Fälle behalf man sich jedoch auf einfachere Art und Weise: Allgemein wurde akzeptiert, dass die engsten Angehörigen des Betroffenen für diesen handelten, also die Ehegatten füreinander und die erwachsenen Kinder für ihre erkrankten Eltern. Die Angehörigen stellten alle notwendigen Anträge, sie öffneten die Post und sie berieten sich mit den behandelnden Ärzten, ob und gegebenenfalls welche Therapie notwendig sei, oder ob es sinnvoll sein könne, jedwede Therapie zu beenden. 

Diese allgemein praktizierten Gepflogenheiten geschahen vor einem rechtlich nicht gesicherten Hintergrund. Nachdem mittlerweile ungeschriebene Regeln nichts mehr gelten, war der Gesetzgeber berufen zu klären, was im Falle einer rechtlichen Handlungsunfähigkeit eines betroffenen Angehörigen zu geschehen hat. 

An die Stelle der Vormundschaft trat nun die sogenannte rechtliche Betreuung. 

Die Einrichtung eines rechtlichen Betreuers geschieht auf Anregung von Ärzten, Sozialarbeitern oder auch der Angehörigen durch das Gericht nach vorheriger Anhörung von Fachärzten. Ein Betreuer ist dem Betreuungsgericht gegenüber verantwortlich. Betreuer kann ein Angehöriger sein; es kann jedoch auch sein, dass das Gericht einen fremden Berufsbetreuer bestellt. 

Um dies alles zu vereinfachen, gibt es die Möglichkeit der Bestellung eines sogenannten Vorsorgebevollmächtigten. Der Vorsorgebevollmächtigte kann und soll eine Person des Vertrauens sein, also beispielsweise der Ehegatte, ein Kind oder eine gute Freundin oder ein guter Freund. 

Dieser Vorsorgebevollmächtigte wird durch eine Vorsorgevollmacht zum Generalbevollmächtigten. 

Der Vorsorgebevollmächtigte kann und muss zunächst einmal alle vermögensrechtlichen Dinge regeln. Er kann notwendige Anträge auf Unterstützungsleistungen stellen, er kann notwendige Anschaffungen für den Betroffenen tätigen und schauen, dass das Vermögen des Betroffenen infolge von dessen Handlungsunfähigkeit keinen Schaden leidet. Der Vorsorgebevollmächtigte kann und muss entscheiden, ob der Betroffene in stationäre Behandlung soll, ob und in welcher Klinik er behandelt werden soll, ob ein Aufenthalt in einem Pflegeheim notwendig ist und ob die frühere Wohnung des Betroffenen gekündigt werden muss, wenn eine Rückkehr des Betroffenen in seine frühere Wohnung nicht mehr in Betracht kommt. 

Schließlich ist es auch die Aufgabe des Vorsorgebevollmächtigten als Person des Vertrauens zu entscheiden, ob eventuell anstehende lebensgefährdende Heilbehandlungen tatsächlich durchgeführt werden sollen oder ob bereits begonnene Heilbehandlungen fortgeführt oder abgebrochen werden sollen. 

Bei solch existenziellen Entscheidungen stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der Vorsorgebevollmächtigte seine Entscheidung über den betroffenen Angehörigen treffen darf und muss. 

Nach dem Gesetz hat der Vorsorgebevollmächtigte insoweit zunächst einmal den tatsächlichen Willen des Betroffenen zu erforschen. 

Ist ein ausdrücklicher Wille des Betroffenen nicht feststellbar, hat der Vorsorgebevollmächtigte den mutmaßlichen Willen des Betroffenen festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. 

Dies ist genau der Punkt, wo eine Patientenverfügung eine Bedeutung erlangen kann. 

Wenn der Betroffene bereits in gesunden Zeiten durch eine Patientenverfügung schriftlich festgelegt hat, ob und in welchem Umfange er im Falle einer Erkrankung behandelt werden will, muss der Vorsorgebevollmächtigte keine eigenen Überlegungen mehr anstellen, vielmehr hat er sich an die Patientenverfügung des Betroffenen als Richtlinie zu halten. 

Wenn in einer Patientenverfügung also steht, dass beispielsweise für den Fall eines Komas, welches mehr als ein Jahr dauert, jedwede Versorgung unterbleiben soll, muss der Vorsorgebevollmächtigte dies beachten, und zwar selbst dann, wenn kurz vor Ablauf der in der Patientenverfügung genannten Jahresfrist Anhaltspunkte erkennbar wären, dass der Betroffene aus dem Koma vielleicht doch noch erwacht. 

Die Patientenverfügung beinhaltet also eine Richtlinie, die dem Vorsorgebevollmächtigten eine unter Umständen schwierige Entscheidung abnimmt. Ihr Nachteil liegt jedoch in ihrer fehlenden Flexibilität. 

Dies beginnt bereits damit, dass eine Patientenverfügung unwirksam ist, wenn sie zu unbestimmt gefasst ist. Es reicht nämlich beispielsweise nicht aus zu verfügen, dass eine Behandlung abgebrochen werde solle, wenn "das Leiden unerträglich" oder "ein Leben nach menschlichem Ermessen nicht mehr würdevoll zu führen" sei. Solch allgemeinen Formulierungen besitzen keine rechtliche Bedeutung. Die Patientenverfügung ist nur wirksam, wenn sie sich auf ein ganz konkretes Krankheitsbild bezieht. 

Nun weiß jeder, dass Krankheitsbilder oft sehr komplex sind und sich vielfach im Vorhinein nicht beschreiben lassen. Nur wenige Krankheitsbilder sind so typisch, dass ihr Verlauf bereits in einer Patientenverfügung mit hinreichender Bestimmtheit beschrieben werden kann. Nur für solche Krankheitsbilder könnte eine Patientenverfügung wirksam sein. Weicht der Verlauf einer Krankheit von demjenigen ab, was in der Patientenverfügung beschrieben war, ist die Patientenverfügung für Arzt und Vorsorgebevollmächtigten unbeachtlich. 

Die Patientenverfügung bindet alle Beteiligten, solange sie nicht widerrufen ist, und zwar selbst dann, wenn sie längst nicht mehr den Vorstellungen des Vollmachtgebers entspricht, dieser nur den Widerruf oder eine Abänderung der Patientenverfügung versehentlich unterlassen hat. 

Aus diesem Grunde erscheint die Bestellung eines Vorsorgebevollmächtigten als die wesentlich flexiblere Lösung für den Krisenfall. Der Vorsorgebevollmächtigte, also die Person des Vertrauens, kann unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles individuell und im Zusammenwirken mit dem behandelnden Arzt entscheiden, was notwendig und sinnvoll ist. 

Aus diesem Grunde ist die Vorsorgevollmacht nahezu unverzichtbar, die Patientenverfügung kommt daher lediglich als – freiwillige - Ergänzung in Betracht. 

Im Übrigen sollte der mediale Druck, wonach jeder eine Patientenverfügung besitzen soll, misstrauisch machen. Hierdurch wird oft der Eindruck vermittelt, als gehöre es sich einfach, für den Fall der schweren, gegebenenfalls nicht mehr heilbaren Erkrankung den Behandlungsabbruch zu verfügen, damit man den Angehörigen und der Gesellschaft nicht zur Last fällt. Auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und finanzieller Überforderung der Krankenkassen darf dies jedoch kein Grund für die Erstellung einer Patientenverfügung sein. 

Nachvollziehbar ist selbstverständlich die Sorge, beim Wegfall der eigenen Handlungsfähigkeit oder im Fall schwerer Erkrankung zum Opfer anonymer Behandlungsmechanismen zu werden. Dem kann jedoch durch die Auswahl eines vertrauenswürdigen und kompetenten Vorsorgebevollmächtigten vorgebeugt werden, gegebenenfalls durch die Ergänzung der Vorsorgevollmacht um eine fachgerecht formulierte Patientenverfügung. 

Die Notwendigkeit einer Patientenverfügung wird fälschlicherweise auch häufig damit begründet, nur durch eine entsprechende Patientenverfügung könne verhindert werden, dass der unheilbare Kranke unbegrenzt künstlich am Leben gehalten werde. 

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass schon weit vor Schaffung der rechtlichen Möglichkeiten zur Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung allgemein anerkannt war, dass die passive und auch indirekte Sterbehilfe zulässig sind. 

Was ist damit gemeint? Passive Sterbehilfe ist dann gegeben, wenn das Grundleiden eines Patienten nach ärztlicher Überzeugung nicht mehr umkehrbar ist, bereits einen tödlichen Verlauf genommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintritt. Der Arzt braucht dann keinerlei Behandlung mehr anzubieten, er darf passiv bleiben. Er muss dann auch niemanden um Erlaubnis fragen. 

Ebenso unbedenklich ist die sogenannte indirekte Sterbehilfe. Diese beinhaltet, dass bei einer intensiven Schmerztherapie die hiermit möglicherweise einhergehende Förderung des Todes durch Atemstillstand billigend in Kauf genommen wird. Auch dies ist nichts, was durch Patientenverfügung geregelt werden müsste. 

Unproblematisch ist auch, was in einem Notfall zu geschehen hat. Wenn ein akut Erkrankter in ärztliche Behandlung gelangt, muss der Arzt selbstverständlich nicht zunächst nach der Existenz eines Vorsorgebevollmächtigten fragen, um in Erfahrung zu bringen, ob er mit einer Behandlung beginnen darf. In einer solchen Situation darf ein Arzt vom mutmaßlichen Behandlungswillen den Patienten ausgehen. Auch dies ist in rechtlicher Hinsicht vollkommen unproblematisch. 

Verboten war und ist allerdings die aktive Sterbehilfe. Diese darf auch nicht durch eine Patientenverfügung ermöglicht werden. Niemand darf also durch eine Patientenverfügung bestimmen, dass er im Falle einer schweren Erkrankung durch Dritte zu töten sei.

 

Sind Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung formbedürftig? 

Eine Vorsorgevollmacht, die sich auch auf lebensgefährdende Heilbehandlungen oder auf den Abbruch jedweder Behandlung bezieht, ist formbedürftig. Sie bedarf der Schriftform. Schriftform bedeutet nicht, dass die gesamte Vollmacht handgeschrieben sein muss; es reicht, wenn der Vollmachtgeber die Vollmacht unterschreibt. Sinnvollerweise sollte der Bevollmächtigte die Vollmacht ebenfalls unterzeichnen. 

Bei schwerwiegenden ärztlichen Eingriffen, auch bei dem etwaigen Abbruch einer Behandlung ist darüber hinaus noch die Genehmigung des Betreuungsgerichtes hierzu notwendig. Eine solche Genehmigung muss erteilt werden, wenn die beantragte Maßnahme dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. 

Einer Genehmigung des Betreuungsgerichtes bedarf es dagegen nicht, wenn bezüglich der beantragten Maßnahme zwischen Arzt und Vorsorgebevollmächtigten Einigkeit darüber besteht, dass die beabsichtigte Maßnahme dem Willen des Betroffenen entspricht. 

Die Patientenverfügung bedarf nie der notariellen Form. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die Vorsorgevollmacht. Eine Vorsorgevollmacht, die den Bevollmächtigten zu Grundstücksgeschäften für den Betroffenen bevollmächtigen soll, bedarf allerdings zumindest der öffentlichen Beglaubigung der Unterschrift des Vollmachtgebers. Der Text der Vorsorgevollmacht müsste dann in Gegenwart eines Notars unterschrieben werden. 

Im Übrigen gilt: Bevor weitreichende Erklärungen wie Vorsorgevollmacht oder gar Patientenverfügung erstellt werden sollte man sich über alle Vor- und Nachteile ausführlich informieren.

 

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